„Sie ist weg, Tanryo!“ Entsetzt blickte die Mutter ihren Sohn an. „Dhina ist weg gegangen.“ Er konnte es nicht glauben. Wie verantwortungslos war sie bitte. Wie konnte sie das seiner Mutter nur antun?
Schnaubend lief er in ihr Zimmer, wahrscheinlich war sie nur mit ihrem nervigen, dummen Falken unterwegs. Langsam blickte er sich um. Es hatte noch nie viele persönliche Dinge in Dhinas Raum gegeben. Er wirkte karg, ein wenig kalt vielleicht sogar. Beinahe im Renntempo lief er zu ihrer Kommode und sah hinein. Ihre Kleidung war noch zum größten Teil vorhanden. Das Knallen der Schublade lies seine Mutter zusammen zucken, weil es zeigte wie wütend Tanryo war, als er sie zuschlug.
„Wir sollten warten, Mutter. Wahrscheinlich wird sie wieder auftauchen, wenn sie merkt, dass sie zu dumm ist etwas zum Essen zu Organisieren.“ Mühsam schluckte er den Ärger hinunter um Elania nicht noch mehr aufzuregen. „Ich glaube es hat etwas mit deiner Verlobung mit Athelin zu tun.“ „Was sollte es damit zu tun haben. Außerdem weiß sie es doch noch gar nicht.“ Er verzog leicht das Gesicht, als er sich des leichten Trotzes bewusst wurde, der zu hören war. Tanryo weigerte sich einfach zu glauben, dass er der Auslöser hierfür sein sollte.
„Die Leute reden, Tanryo. Dhina hört sehr gut, sie kann nur nicht sprechen.“ Fluchend warf er eine Vase in Dhinas Zimmer von der Kommode. Er wusste ja, dass es Dhina schwer fallen würde, wenn sie es erfahren würde, aber danach würde für sie alles besser werden. Eigentlich hatte er schon seit Tagen vorgehabt Dhina davon zu erzählen aber es dann immer und immer wieder hinausgeschoben.
Verzweifelt blickte er seine Mutter an, die in diesem Moment noch ein wenig zerbrechlicher wirkte als sonst. Er wusste, dass sie Dhina liebte wie eine leibliche Tochter. Ging es ihm doch nicht anders. Seit dem ersten Moment wo sie ihn mit ihren großen grünen Augen angesehen hatte. „Was schlägst du vor, soll ich tun?“ Aber schon während er die Frage aussprach, wusste er die Antwort. Seufzend und leicht resigniert hob er die Hände.
„Ich werde in einer Stunde losreiten. Dann werde ich sie schon finden. Aber zuerst habe ich noch einiges zu regeln.“ Die Mutter schloss die Augen und Tanryo deutete es als stille Dankbarkeit. Dafür würde er Dhina übers Knie legen. Das letzte mal als er das getan hatte war als sie 12 war. Damals war sie alleine ohne ihn klettern gegangen. Seine Mutter hatte beinahe der schlag getroffen, als sie Dhina suchten und schluchzend auf einem winzigen Felsvorsprung fanden. Sie konnte weder vorwärts, noch rückwärts klettern, kam also weder hoch noch herunter. Damals war der 19 Jahre junge Mann so wütend geworden, dass er sie gepackt hatte, nachdem er sie herunter geholt hatte und sie übers Knie legte. Die Erleichterung, dass ihr nichts passiert war, wurde von dem Ärger den sie seiner Mutter gemacht hatte überschattet gewesen. Allerdings hatte es ihm sofort Leid getan, als er in ihr schmerzvolles trauriges Gesicht geblickt hatte.
Dieses mal jedoch nicht. Sie würde die nächsten Wochen nicht sitzen können, wenn es nach ihm ginge. Und es ging nach ihm. „Mutter, tu mir einen Gefallen, pack mir etwas zu essen ein. Wenn sie heute Nacht schon losgegangen ist, wie es den Anschein macht, könnte sie schon sehr weit sein und ich muss ein großes Gebiet absuchen.“ Mit energischen, wütenden Schritten verließ er das kleine Haus seiner Familie und ging zu Athelin um ihr zu sagen, dass sie die Verlobung noch um ein Paar Tage verschieben mussten. Natürlich war diese, wie zu erwarten war nicht besonders erfreut darüber. Im Gegenteil, sie sagte etwas wie: „Lass sie doch, hier mag sie eh keiner!“ Wofür sie nur noch einen giftigen Blick ohne Erwiderung erntete.
Danach ging er zu dem kleinen Stall, der zum Haus gehörte und holte den alten Hengst heraus, der schon seinem Vater zu Diensten war. Das Pferd war bereits in soweit, dass es auf dem Hof sein Gnadenbrot erhielt und die Familie hatte sich für die Arbeit einen jungen, brauchbaren Rappen vom Nachbarhof geliehen. Zwar wäre Tanryo mit dem Pferd schneller, aber er konnte nicht erwarten, dass seine Mutter die Arbeit mit dem alten Gaul machte. Er sattelte das Pferd und packte zwei alte, schon leicht zerschlissene Decken auf den Rücken des Tiers. Eigentlich würde es Dhina recht geschehen, wenn sie auf dem Blanken Boden schlafen müsste wenn er sie erst kurz vor der Abenddämmerung fand. Aber auch die Decke war ein Zugeständnis an seine Mutter.
Knapp eine Stunde später verließ er Farna in Richtung Westen, hoffentlich trügte ihn sein Gefühl nicht.